7. Intern. Osnabrücker PiesBERG-Ultra-Marathon

13.04.2019

Vorher

Bereits wenige Stunden nach Eröffnung der Anmeldung am 01.09.2018 waren die 125 heiß begehrten Startplätze vergriffen. Die angekündigte Warteliste füllte sich ebenso rasch. Und warum hatte ich zu dieser Zeit noch keinen Startplatz ergattert? Weil ich in der Nacht von Freitag auf Samstag einfach andere Dinge im Kopf und mir somit keinen Wecker gestellt hatte, sodass ich den Anmeldestart um Mitternacht schlichtweg verschlafen habe.
Auch auf der Warteliste tingelte ich irgendwo zwischen der 30. und 40. Position, also mit wenig Hoffnung auf einen frei werdenden Startplatz. Wie bin ich nun trotzdem zu dieser Teilnahme gekommen? Durch ein wenig Glück, denn in der Silvesternacht 2018 zog die Glücksfee sieben Teilnehmer aus der Warteliste – so auch mich! Nach der schnellen Überweisung von 50 € landete auch ich in der offiziellen Teilnehmerliste.
Und was macht den internationalen Piesberg Ultra-Marathon – kurz PUM – unter Ultraläufern so beliebt? Hierfür muss ich ein wenig ausholen: Einerseits handelt es sich um eine unvergleichbar liebevolle und familiäre Organisation dieses Events, andererseits versprüht die 63 km lange Strecke ihren ganz eigenen Charme und verlangt mit insgesamt 2.100 Höhenmetern und 3.390 Treppenstufen nicht nur Flachland-verwöhnten Norddeutschen gehörigen Respekt ab. Wer diese Herausforderung in der ausgeschriebenen Maximalzeit von 10:45 Stunden meistert, erhält eines der begehrten, sehr bunten PUM-Finisher-Shirts. Ehrlicherweise ist dieses Shirt das, was auch mich am meisten lockt. Bei vielen Marathonveranstaltungen sieht man die bunten Pummelanten, wie sich die eingeschworene Gemeinschaft von PUM-Finishern gern selbst bezeichnet, und zu dieser elitären Szene möchte auch ich dazugehören.
Von Woche zu Woche steigerte sich meine Vorfreude auf diesen Tag und die fordernde Strecke. Im Übrigen wurde die Runden- und Gesamtlänge über die Jahre immer länger: Während in den Jahren 2013 bis 2016 etwa 55 km gelaufen wurden, mussten 2017 und 2018 insgesamt 60 km bewältigt werden. Da es in diesem Jahr nun auch eine Extraschleife zu einem Mammutbaum geben sollte, erhöhte sich die Rundenlänge auf nunmehr 10,2 km. Multipliziert man diese mit 6 und addiert das Auftakt- und Endstück von jeweils 800 m hinzu, kommt man auf genau 62,8 km (aufgerundet 63 km).
Die 565 Stufen je Runde verteilten sich auf mehre kurze und eine besonders lange Treppe. Dazu später mehr.

Die Vorfreude wurde allerdings etwas getrübt, als die Wettervorhersage schlechter wurde. Die Prognose für den Piesberg-Samstag lautete nämlich 0-5°C und eine Regen-/Schneewahrscheinlichkeit von bis zu 90 %. Erinnerungen an meinen eisigen Schnee-Marathon in Springe im März 2018 wurden wach.

So schlimm wie in Springe würde es wohl nicht werden, aber diese Bedingungen über die Dauer von voraussichtlich über 6 Stunden durchzustehen ist mit keinem Marathon zu vergleichen. Ich versuchte, all diese negativen Dinge zu verdrängen, meine Erwartungen runterzuschrauben und mich einfach nur wieder auf die Vorfreude zu fokussieren.
Am Freitagabend machte ich pünktlich Feierabend und erreichte Laggenbeck, das Elterndorf meiner Freundin, um kurz nach 21 Uhr. Dort hatte Sophie bereits ordentlich Nudeln für mich gekocht, die es gleich zu verschlingen galt.

Am nächsten Morgen klingelte der Wecker erbarmungslos um 06:30 Uhr. Ein kleines Frühstück auf die Hand, dazu eine Flasche Wasser und ab ins Auto. Mein Plan war es, um spätestens 07:30 Uhr in Osnabrück-Haste zu sein, wo der Lauf auf dem dortigen Sportgelände starten und enden sollte. Sophie würde erst zum Ende meines Laufs hinzustoßen und durfte bis dahin ausschlafen.
Entgegen aller Hoffnungen begrüßte mich der Morgen mit Auto-Kratzen und Schneegestöber auf der Autobahn. Na das konnte heute noch spannend werden!

Die Sonne tat sich schwer hinter der geschlossenen Wolkendecke, doch sie war definitiv da. Es bestand Hoffnung, dass die Schneedecke nach einiger Zeit wegschmelzen würde und wir neben Winter auch Frühling erleben können. Wer weiß, vielleicht sind sogar noch alle vier Jahreszeiten möglich.
Die meisten Teilnehmer nahmen es mit Humor. Es fielen Sätze wie „Hätte ich das gewusst, wäre ich im Bett geblieben.“ oder „Jetzt erst recht!“.
Ich ließ mich von den positiven Aussagen anstecken und wollte tapfer in die gut 6-stündige Mission starten. Nach meinem spartanischen Frühstück folgten die obligatorische Banane und zwei kleine Apfel-Bananen-Müsli-Riegel, die ich mir für den Weg in meine Jackentasche steckte.

Gut 20 Minuten vor dem Start hatte ich bereits meine Startnummer, den Zeitmess-Chip und einen roten Beutel mit einigen Broschüren abgeholt und mich nochmal ins Auto verzogen. Dort zog ich mein finales Lauf-Outfit an und schrieb noch eine schnelle Nachricht an meine Family und Sophie. Dann ging es zurück zu dem kleinen Vereinsheim, wo um 8 Uhr die verpflichtende Wettkampfbesprechung stattfinden sollte.
Günter und Ha-We, die beiden Haupt-Organisatoren des PUMs, trommelten alle aufgeregten Läufer zusammen und verkündeten einige Besonderheiten. Unter anderem wurde auf die Ahndung von Abkürzungen und die damit verbundene Disqualifikation hingewiesen. Es soll im vergangenen Jahr wohl einen solchen Fall gegeben haben. Außerdem sollen die ersten paar hundert Meter nicht über den Radweg entlang der Hauptstraße, sondern über einen verschneiten Acker verlaufen. Da ich Neuling bin, brauchte ich mich zum Glück nicht umzugewöhnen.
Als die Ansprache zu Ende war, wurde um 08:16 Uhr mit einer Minute Verspätung der Startknall ausgelöst. Das Platzen eines Luftballons übernahm in diesem Fall die Designerin des PUM-Logos, wie charmant.

Nur 3 Wochen nach dem Schweriner Seen-Trail folgte nun schon der nächste Ultra über 60 km … hoffentlich!

Der Lauf

Um nicht schon auf den ersten Metern irgendwo falsch abzubiegen, sprintete ich nicht vorneweg, sondern reihte ich mich an dritter Position ein. Die erste Tücke lauerte noch auf dem Vereinsgelände: es war ein schmales Tor zwischen zwei Sportplätzen, durch das wir laufen mussten. Im hinteren Teilnehmerfeld würde es zu großen Staus kommen, doch so zog sich die Gruppe früh in die Länge und jeder konnte anschließend seine Ideallinie laufen.
Der bereits erwähnte Acker, der nach dem Tor folgte, ließ tief in die Kreativität der Organisatoren blicken. Er bot einen Vorgeschmack auf all die natürlichen Hindernisse, die für uns in den Streckenverlauf eingebaut wurden.
Mit Erreichen des asphaltierten Waldweges ging es links ab Richtung Fürstenauer Weg, wo wir wieder der gewohnten Strecke aus den Vorjahren folgten. Nach zwei Rechtsabbiegungen liefen wir in einer kleinen 5- bis 6-köpfigen Gruppe zum Piesberg hinauf. Als insgesamt 800 m absolviert waren, war die offizielle PUM-Runde erreicht und der Asphaltweg vorerst Geschichte. Es ging rechts ab in die Hügel und Berge hinein.
Unsere Gruppe reduzierte sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf drei bis vier Personen, von denen ich Marek Latocha recht gut kannte. Er hatte bei den ersten drei Austragungen des Rubbenbruchsee Marathons ordentliche Leistungen im Bereich von 03:40 Std. erbracht und lief den PUM heute schon zum fünften Mal. Somit galt er als einer der Mitfavoriten.
Auf den ersten 900 m der Runde meisterten wir die ersten drei steilen Hügel noch locker trabend. Die Strecke verlief hier rechts neben dem Zaun des Abfallwirtschaftszentrums Piesberg (Kurz: Mülldeponie). Danach folgte eine plötzliche Abbiegung nach rechts in den dichten Wald hinein und wir konnten wieder Geschwindigkeit aufnehmen. Ich merkte jedoch früh, dass jeder Schritt kontrolliert gesetzt werden musste, um nicht auf die Nase zu fliegen. Mal schauen, wie das am Ende des Rennens noch so funktionieren wird.

Wir liefen mit hohem Tempo quer durch den Wald und steuerten auf KM 2 zu, wo die Strecke in einen schmalen Singletrail überging. Diese Passage gepaart mit den schneebedeckten Bäumen um uns herum bot eine so traumhafte Kulisse, dass mir der Ohrwurm „Walking in a Winter Wonderland“ über die Lippen ging.
Am Fuße des Berges angekommen ging es zweimal rechts ab und anschließend über einen breiten Waldweg zurück Richtung Westen. Etwa bei KM 2,7 war es vorerst vorbei mit „bergab“ und „flach“, denn es ging scharf rechts den gesamten Berg wieder hinauf. Es handelte sich um einen recht unwegsamen Pfad mit vielen Wurzeln, sodass wir hier recht bald in einen strammen Fußmarsch verfielen.
Kurz vor KM 3 kreuzten wir den Waldweg, den wir zuvor noch hinunter gerauscht sind. Das war also eine der Extraschleifen, die die offizielle Piesberg-Runde ein wenig aufpeppen sollen. In diesem Fall ist der Plan aufgegangen, denn diese Schleife ist schön und anstrengend zugleich.

Nach einem weiteren kurzen Singletrail-Stück war wieder die Haupttrasse um den Piesberg erreicht und es ging spürbar bergab auf die ersten Treppen zu. Hierbei handelte es sich um mehrere Stufen-Abschnitte aus hartem Schotter, die in den Fels geschlagen und mit massiven Eisenplatten fixiert waren. Was will ich damit sagen? – Fakt ist, dass auch hier auf jeden einzelnen Tritt geachtet werden musste. Jede Unachtsamkeit konnte durch Umknicken betraft werden. Aus diesem Grund fing ich von Beginn an, die Treppenstufen zu gehen und nicht zu laufen. Meistens nahm ich zwei Stufen auf einmal, was mir gerade am Anfang des Tages noch recht leicht fiel.
Oben auf dem Piesberg angekommen passierten wir den ersten Getränkestand, der wenig später ein zweites Mal angelaufen werden würde. Noch verzichtete ich auf das Trinken, nahm mir aber fest vor, es auf dem Rückweg zu tun.
Hinter dem Getränkestand ging es erneut steil hinab, bevor nach einer scharfen Linkskurve etwa 150 m auf grobem Geröll folgten. Vorbei an KM 4 und einer scharfen Rechtskurve befanden wir uns auf dem Zubringer-Stück zur berüchtigten Metalltreppe, die hoch zum Gipfel führte.

Der Blick nach oben jagte mir eine Gänsehaut in den Nacken. Schnell öffnete ich meine Laufjacke, um nicht ganz so schnell ins Schwitzen zu geraten, und fokussierte die Stufen unmittelbar vor mir. Schritt für Schritt nahm ich jeweils zwei Stufen auf einmal und schaute kein zweites Mal nach oben. Zähne zusammenbeißen und hoch mit mir!
Auf halber Höhe gab es eine ganz kurze Verschnaufpause, indem die Asphaltstraße diagonal überquert werden musste. Die 10 stufenlosen Meter spazierte ich selbstverständlich, etwas Erholung musste sein! Anschließend dasselbe Spiel nochmal. Nach einer gefühlten halben Ewigkeit war ich auf der windigen Spitze angekommen, schaute mich um und sah nicht viel. Noch war es zu bewölkt, doch der Ausblick würde sicher im Laufe des Tages besser werden.
Ohne allzu viele Sekunden zu verlieren bog ich rechts ab und passierte die drei großen Windräder, die als markantes Zeichen für den Piesberg stehen und unter anderem Teil des PUM-Logos sind.
Kurz hinter KM 5 war wieder die Getränkestation erreicht, an der ich zunächst meinen Becher mit der Nummer 104 suchte. Um Plastikmüll zu vermeiden, hatte an beiden Verpflegungsständen jeder Läufer seine eigenen Becher.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich trotz kurzer Trinkpause einen kleinen Vorsprung rausgelaufen und befand mit auf Position 1. Das ist zwar ein schönes Gefühl, war mir aber gleichzeitig etwas unheimlich, da ich die Strecke noch nicht genau kannte und mich bloß nicht verlaufen wollte. Nunja, ich hoffte auf das Quäntchen Glück und lief weiter vorneweg.
Die folgenden 200 m waren ein Begegnungsstück, das heißt dass mir hier einige langsamere Läufer entgegen kamen, während ich die einzelnen Treppenabschnitte hinunterging. Es folgte nun die nächste Zusatzschleife, die erst dieses Jahr eingeführt worden ist: der Schlenker zum Mammutbaum im äußersten Osten der Strecke.
Hierfür musste zunächst am hinteren Bergrücken hinuntergelaufen und ein paar Wurzeln sowie ein-zwei enge Kurven unfallfrei gemeistert werden. Dann war man am Mammutbaum (Höhe 33,7 m), der in meinen Augen nur an seiner markanten Rinde als solcher erkennbar war. Aus dem USA-Urlaub mit meiner Family bin ich ganz andere Kaliber gewohnt. Dennoch war es eine sehr schöne Ecke des Streckenkurses und ich freute mich schon auf die kommenden Runden.

Anschließend musste der Piesberg über einen waldigen Anstieg auf weichem Untergrund erklommen werden. Das ständige Auf und Ab machte mir bereits ordentlich zu schaffen und häufig wich ich auf flottes Wandern aus, um meine Kräfte zu schonen … und das kurz vor KM 6. Wie ungewohnt!
Nun gab es ein paar Passagen, die sich über die meiste Zeit gleichmäßig laufen ließen. Einen kleinen steilen Anstieg direkt hinter KM 6 lasse ich dabei mal außer Acht. Ansonsten verlief die Route nun entlang des Steinbruchs und der Ausblick in die unendlich erscheinende Tiefe war absolut grandios.
Kurz vor KM 7 kam bei mir etwas Verwirrung auf, denn ein PUM-Pfeil zeigte nach links, während der Hauptweg weiter geradeaus führte. Was sollte diese Fehlleitung? Oder war das kein Fehler und ich stand nur auf dem Schlauch? Genau so war es, denn an diesem Punkt musste tatsächlich nach links abgebogen und über einen 2 m hohen Steinhaufen gekraxelt werden. Dahinter verbarg sich der nächste Singletrail-Abschnitt, der im Übrigen der matschigste des ansonsten sehr trockenen Kurses war.
Bei KM 7,3 folgte ich weiter der Straße und lief dann einen steilen Abhang hinunter. Unten angekommen verlief der eine Weg halb-links, während der andere nach rechts führte. Wo soll ich nun lang? Keine Ahnung, keine Pfeile mehr, kein direkter Verfolger, den ich hätte fragen können. Ich war perplex … Moment mal, ich hatte mich verlaufen!
Nach einigen Sekunden machte ich kehrt und sprintete förmlich den Berg hinauf. Oben angekommen bemerkte ich eine metallene Aussichtsplattform, auf der zwei rote Teppiche verlegt waren. Diese Plattform ist mir beim Vorbeilaufen nicht aufgefallen und so hatte ich sie unentdeckt hinter mir gelassen. Nun aber flott, denn meine führende Position hatte ich sicherlich verloren.
An der äußersten Kante des Metallbodens befand sich eine Wendeltreppe, die hinunterführte. Ich erinnerte mich an ein Foto, das ich im Facebook-Forum gesehen hatte und das diese Treppe zeigte. Also dürfte ich jetzt wieder auf dem richtigen Weg sein.

Erneut den Pfeilen folgend fühlte ich mich wieder sicherer und so durfte mein Puls gern wieder sinken. Bei KM 7,6 war der Punkt erreicht, wo ich zuvor den Weg zum 2 m hohen Steinhaufen gesucht hatte. Diesmal ging es scharf links ab und über gut 500 m knackig bergab. Teilweise kostete das Abbremsen mehr Energie, als die Anstiege. Am Ende des Tages werde ich behaupten: Das Treppensteigen war nicht das Härteste!
Der fast anderthalb Kilometer lange Abschnitt bis KM 9,5 beinhaltete viele Waldabschnitte über Wurzeln, Geröll und Laub. Es gab zwei Anstiege und ein Gefälle, wo Abbremsen und Wandern unumgänglich waren. Der Rest ließ sich relativ einfach laufen und so konnte ich drei oder vier Läufer einsammeln, die während meiner Sackgassen-Erfahrung an mir vorbeigehuscht sind. Alle wunderten sich, wo ich denn nun herkäme. Jeglichen Abkürzungsverdacht wies ich sofort von mir. Dies hätte aber auch wenig Sinn gemacht, da ich ja von hinten angelaufen kam.
Als bei KM 9,5 ein kurzes Stück auf Asphalt bevorstand, lag ich wieder an Position 2 und lediglich der schnelle Marek Latocha lief knapp 100 m vorneweg.
Eine weitere Besonderheit folgte sogleich, als wir die 60 cm breiten Schienen der sogenannten Feldbahn zweimal kreuzten. Heutzutage gibt es im südlichen Bereich des Berges nur noch Schienen von 1 km Länge, die für touristische Zwecke befahren werden, während es in der Zeit von 1912 bis in die 1960er Jahre über 110 km waren.

Kurz hinter KM 10 hörte ich bereits Stimmen und Musik: es kündigte sich die zweite Getränkestation an. Doch zuvor musste auch hier ein kurzes Stück durch grobes Geröll bewältigt werden. Es führte kein Weg daran vorbei, denn die Zeitmessmatte zur Erfassung der sechs Rundenzeiten lag zwischen den Felsen verborgen. Nach über 60 km kann dieses Stück ganz schön gefährlich werden.
Jetzt funktionierte noch alles reibungslos und so schaffte ich die erste von sechs Runden in 01:03:49 Std., womit ich durchaus zufrieden war. Man bedenke, dass diese Runde einen Zubringer von 800 m und ein paar Extrameter durch das Verlaufen beinhaltete.
Dann ging es hinein in einen Pavillon-Tunnel, in dessen Innern links und rechts Tische mit unterschiedlichster Verpflegung postiert waren. Es wäre ein Schlaraffenland gewesen, wenn ich doch nur Hunger und Zeit gehabt hätte. Ich beließ es also bei einigen Schlucken Wasser und dann ging die Reise und Verfolgung von Marek auch schon weiter.

Ab der zweiten Runde konnte ich von den Erkenntnissen der ersten Runde Gebrauch machen und mich etwas besser auf die Streckengegebenheiten einstellen. Steile Bergauf-Stücke wurden von nun an konsequent gewandert, auch wenn mir dies in der Seele wehtat, aber nur so konnte ich dieses Rennen einigermaßen gleichmäßig und unverletzt überstehen.
Bereits auf dem 2. Kilometer der zweiten Runde konnte ich die Führung zurückergattern und war ab dem 3. Kilometer wieder allein auf weiter Flur. Zu zweit oder zu dritt zu laufen macht unter den heutigen Bedingungen zwar deutlich mehr Spaß, aber ich wollte meinem eigenen Rhythmus folgen und das hatte nun mal Vorrang.
Als ich nach der südöstlichen großen Extraschleife wieder auf dem Piesberg-Hauptweg angekommen war, kam ein plötzlicher Schnee- und Hagelschauer nieder. Er überraschte uns zwar sehr, störte aber nicht allzu lang und war nach einigen Minuten wieder Geschichte.
Bevor es ein zweites Mal an die große Himmelsleiter ging, teilte ich den freundlichen Helfern am Getränkestand mit, ich wolle gern eine Mische aus Wasser und Cola haben. Sie wussten rasch, was gemeint war, und versprachen, mir etwas vorzubereiten. Wahnsinns-Service!
Die Belohnung nach der langen Treppe sollte aber nicht nur das leckere Getränk sein, sondern auch ein wunderschöner Ausblick über das mittlerweile nebelfreie Osnabrücker Land. Wir kamen den „Vier Jahreszeiten“ langsam aber sicher näher.

Es folgten Treppe-Runter-Abschnitte, Mammutbaum, Steinhaufen plus matschiger Singletrail, Wendeltreppe-Runter, steile Bergab-Passagen, hügelige und wurzelreiche Waldwege, asphaltierter Radweg, Feldbahn, zweiter Steinhaufen und party-ähnliche Verpflegung. So schnell aneinander gereiht kam mir diese Runde aber nicht vor, denn auch zwischen all diesen Höhepunkten befanden sich kleine Abenteuer, die man als Läufer vielleicht erst auf den zweiten Blick entdeckt.
Ich konnte ohne lang zu überlegen schon jetzt behaupten, dass es sich um eine der anspruchsvollsten Strecken handelte, die ich jemals gelaufen bin. Noch war es zwar nicht der anstrengendste Lauf in meinem Leben (und das sollte es bestenfalls auch nicht werden), aber nach einem Drittel sollte ich noch nicht urteilen.
Den zweiten Umlauf um den Piesberg absolvierte ich in 56:22 min und war damit wieder voll auf Plan für eine Zielzeit von ca. 6 Stunden.
Allmählich begannen die Überrundungen und auch die Kreuzungen und das etwas längere Begegnungsstück sorgten für willkommene Abwechslung. Ein Funke Zivilisation in der ansonsten übermächtigen Natur machte mir Mut: ich bin hier draußen nicht allein!
Trotz aller Anfangseuphorie und der Extra-Motivation durch das Abklatschen von Laufkollegen, wurde mir bewusst, dass es von Runde zu Runde anstrengender werden würde. Insbesondere die vielen Auf- und Abstiege, aber auch die wirklich schönen Singletrails kosteten enorm viel Kraft.

So kam das eine zum anderen und die dritte Runde wurde spürbar langsamer (58:46 min). Ob ich die folgende Runde nochmal unter eine Stunde drücken würde, wagte ich zu bezweifeln. Aber wie schon mehrmals erwähnt, war das nicht die Hauptsache. Die vierte Runde galt gedanklich der Marathon-Marke, denn sollte ich diese heil überstehen, wäre zumindest das Minimum geschafft.
Mittlerweile war der Schnee vollständig weggeschmolzen, die Sonne hat sich ihren Weg durch die Wolken gebahnt und die Temperaturen stiegen auf über 5°C. So durfte es gern weitergehen.
Außerdem war nun über die Hälfte geschafft: Bergfest im wahrsten Sinne des Wortes. Besonders als ich ein viertes Mal die lange Treppe zum Gipfel in Angriff nahm, wurde mir bewusst, dass ich diese Strapaze nur noch zweimal durchstehen musste.

Nach einem ganzen Becher leckerster Mische ging es erneut viele unterschiedliche Abstiege hinunter. Mal waren es steinerne Treppenstufen, mal wurzelreiche Wege und bei jedem großen Schritt bergab meckerten meine Knie ein kleines bisschen mehr. Ich hatte bereits nach dem Schweriner Seen-Trail und dem Venloop Halbmarathon ganz kleine Problemchen an beiden Knien. Es schmerzte noch nicht, konnte aber als leichte Beschwerde eingestuft werden.
Und so verkürzte ich meine Schrittlänge deutlich, sodass ich bergab beinahe auch schon wandern musste. Aber egal, die Gesundheit geht vor und es ging hier um keine Preisgelder, die ich gewinnen konnte.
So kam, was kommen musste: die vierte Runde endete nach 01:02:50 Std., sodass der Marathon nach insgesamt 04:01:47 Stunden eingetütet war. So lange habe ich nicht mal im Training für diese Distanz gebraucht (durchschnittlich 05:49 min/km).
Kopf hoch, Patrick, auf geht’s in die vorletzte Runde … die VORLETZTE (!) Runde.

Ich nutze jede mögliche Chance, in eine der vereinzelten Kameralinsen zu lächeln, ohne jeweils zu wissen, wer sich hinter der Kamera befand. Meine Hoffnung auf ein paar Bilder im Internet war nicht unberechtigt, denn tatsächlich landeten extrem viele Fotos in Facebook.
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit ergreifen und Gerold Nee für die Fotos danken, auf denen ich zu sehen bin. Dessen Schwager Andreas Belle hat mehrere hundert solcher Fotos von (fast) allen Läufern zur freien Verfügung gestellt. Außerdem danke ich Michael Derlich, dessen Streckenfotos ich ebenfalls aus dem besagten Forum herunterladen durfte. Ohne diese „ehrenamtlichen“ Taten wäre dieser Laufbericht gefühlt noch textlastiger, als ohnehin schon.
Die nun folgenden Fotos habe ich hingegen meinem Vater zu verdanken, denn er war plötzlich Teil eines großen Überraschungskomitees. Neben Sophie, die sich ja angekündigt hatte, begrüßten mich am Ende meiner fünften Runde meine beiden Eltern und Sophies Mutter. Das war der absolute Hammer!
Die langsame Rundenzeit von 01:03:29 Std. und auch der schmerzhafte Sturz auf dem wurzelreichen Weg bei KM 50 war somit schnell vergessen. Zwei kleine blaue Flecken an beiden Händen konnte ich in Kauf nehmen und konzentrierte mich viel lieber auf meine Liebsten!
Das folgende Grinsen nach über fünf Stunden Lauferei kam also von Herzen. Was sind da schon 10 läppische Kilometer, wenn im Ziel die Family wartet?

Direkt hinter dem Verpflegungszelt, in dem ich mir diesmal auch noch zwei Apfelstücke für den Weg mitgenommen hatte, machte ich einige Sekunden Halt. Dabei zog ich mir meine nassen Handschuhe aus und bat zunächst Sophie, mir ihre trockenen zu geben. Gleichzeitig boten mir auch meine Eltern ihre Handschuhe an und meine Entscheidung fiel auf die meines Vaters. Es waren ebenfalls Lauf-Handschuhe, die sich schnell anziehen ließen. So froren meine Hände nicht mehr so sehr und ich konnte die letzte Runde etwas mehr genießen.
Ich bedankte mich bei allen und freute mich schon auf das Wiedersehen in gut einer Stunde.

Die letzte Runde sollte eine Abschiedsrunde werden und bitte unfallfrei verlaufen. So schenkte ich jedem einzelnen Streckenabschnitt besondere Beachtung und vergaß dabei praktisch, dass mir doch so viel weh tat. Vergessen waren die Knie-Wehwehchen, die müden Arme von den Treppengeländern, die blauen Flecke auf meinen Handballen, die leichten Krämpfe in den Oberschenkeln und alles andere, was mich in den ersten fünf Stunden irgendwie störte.
Ich spielte mit dem Gedanken, nun das Tempo etwas aufzudrehen. Jede einzelne Steigung, die ich zuvor komplett gewandert bin, wollte ich dieses Mal ein wenig höher anlaufen und damit den Wanderanteil verkürzen. Alle Treppenstufen versuchte ich paarweise zu erklimmen und die Trinkpausen auf ein Minimum zu verkürzen.
Und als größter Motivator diente mir ein Läufer mit einer Action-Kamera, der mich als den voraussichtlichen Sieger auf den letzten 2 km begleiten wollte. Er fragte zunächst freundlich und lief anschließend mal neben, mal vor und mal hinter mir, sodass unterschiedliche Kameraperspektiven eingenommen wurden. Dabei befragte er mich zu meinem Befinden, meiner Motivation an langen Läufen und meinem bisherigen Werdegang.
Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass die sechste Runde schließlich mit 01:02:49 Std. sogar die viertschnellste wurde (1 sec schneller als die 4. Runde und 40 sec schneller als die 5. Runde).
Dieses Mal passierte ich das Verpflegungszelt ohne hindurchzulaufen. Wasser trinken konnte ich auch im Ziel. Als die Asphaltstraße zur Mülldeponie erreicht war, musste diese nicht mehr gekreuzt werden. Vielmehr ging es rechts ab und die gesamte Straße lag vor mir. Ich nahm eine Position in der Mitte der Straße ein, breitete meine Arme aus und genoss den Temporausch auf diesem Bergab-Stück. Der Kameramann hinter mir ließ sich davon anstecken und rief laut „Wuhuuu, yeeaah!“. Und auch ich gab ähnliche Laute von mir und genoss einfach nur diesen einmaligen letzten Kilometer.
Die Gewissheit, diesen beliebten Ultramarathon im Beisein seiner Family zu gewinnen, ist einfach unbeschreiblich und so rannte ich die letzten 800 m in glatt 04:00 min, einfach nur geil!
Auf dem Vereinsgelände der Spvg. Haste angekommen sah ich schon den roten Teppich, der für alle Finisher des Tages verlegt wurde. Auch wenn das gesamte Drumherum nicht dazu passte, erinnerte mich dieser Teppich an den Zieleinlauf bei meinem allerersten Marathon in Frankfurt.

Mit einem großen Lächeln im Gesicht waren alle Strapazen schnell vergessen. Ich freute mich riesig über den wundervollen und sehr persönlichen Empfang von vielen lieben Leuten, die mir alle gratulierten und ebenso freundlich zulächelten. Nach insgesamt 06:12:05 Stunden war es geschafft, mein drittlängster Ultra war im Sack!

Nachher

Dann ergriff Günter die Gunst der Stunde und überreichte mir das erste bunte PUM-Finisher-Shirt des Jahres 2019. Der prägnanteste Unterschied zum Vorjahr war, dass es sich diesmal um Längs- und nicht Querstreifen handelt. Natürlich zögerte ich nicht lang und zog die neue Errungenschaft schnell über.

 

Wenige Augenblicke später stand die Presse parat, knipste Fotos und stellte Fragen für einen Artikel in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Natürlich stand ich gern Rede und Antwort, wollte aber mindestens genauso gern zurück zu meiner Family und mich bei ihr für die Unterstützung bedanken. Wie gewohnt sprudelten die vielen Eindrücke von der Strecke nur so aus mir heraus und ich wollte die frische Erinnerung nutzen, um meinen Leuten anhand des Streckenplans von meinen Erlebnissen zu berichten. Es hat Spaß gemacht, all die vielen Besonderheiten der 10,2 km langen Runde aufzuzählen und aufzuzeigen.

Dann verabschiedeten meine Eltern und ich uns bereits, da wir uns am morgigen Sonntag schon wiedersehen würden. Auch bei den Veranstaltern Günter und Ha-We meldete ich mich vorerst ab und kündigte an, zur Siegerehrung um 17:30 Uhr wiederzukommen. Die knapp drei Stunden zwischen meinem Finish und der Ehrung wollte ich im 20 min entfernten Laggenbeck nutzen, um zu duschen und neue Kraft zu tanken.
Letzteres funktionierte am besten dank selbst gemachter Waffeln mit Vanillesoße und roter Grütze.

Pünktlich um 17:30 Uhr waren Sophie und ich dann wieder in Osnabrück-Haste, wo wir uns im kleinen Vereinsheim zwei Stühle suchten und uns zwischen die anderen Finisher und Angehörige pflanzten. Hier und da wurden ein paar Gespräche geführt und über Muskelkater gemeckert, also alles so wie erwartet.
Nach einigen Danksagungen für Sponsoren und Unterstützer folgten drei Spenden-Schecks die an gemeinnützige Organisationen überreicht wurden. All das wurde von lautem Beifall untermalt und mündete anschließend in die Ehrung einiger Jubilare und Sonderwertungen. Erst dann wurde sich der ersten fünf Damen und Herren im Gesamtklassement angenommen.
Als Gesamtsieger erhielt ich neben sehr persönlichen Glückwünschen und Umarmungen einen Pokal, eine Finisher-Medaille, eine Urkunde und ein rotes Handtuch mit PUM-Logo. Für den Altersklassensieg folgten zudem ein buntes Lauf-Halstuch und eine Flasche Bier – sehr sympathisch wie ich finde.

Diese individuelle Ehrung aller einzelner Finisher – inklusive einer Schnapszahl-Ehrung des 33., 66., 99. und 111. Finishers – ist in der Laufszene einmalig. Zumindest kenne ich keine Veranstaltung, die so viel Wert auf die Wertschätzung ALLER Läufer legt.
Ob ich mich mit meiner Aussage, „ich laufe alle Marathons – außer den RuM – nur einmal im Leben“ nicht doch ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt habe?!
Für die Kirsche auf der Torte sorgte schließlich die Freistart-Verlosung, die beim PUM mittlerweile zur Tradition geworden ist. Mehr als 60 gratis Startplätze sind in den vergangenen Monaten den Organisatoren zugekommen und alle sollten willkürlich unter den erfolgreichen Teilnehmern verlost werden. Die Chance war also groß, dass auch ich einen Freistart bekommen würde. Insgeheim hatte ich ein paar Wunsch-Veranstaltungen, zu denen auch die Teilnahme an einer Deutschland-Lauf-Etappe zählte. Ebenfalls attraktiv war der Hannover Marathon 2020, denn dieser ließe sich dank des langen Vorlaufs noch entspannt planen und mit Urlaub & Co. vereinen.
Nun, was soll ich sagen? Als eine der ersten Nummern aus dem Lostopf wurde meine Startnummer 104 gezogen. Und um welchen Startplatz ging es bei dieser Losung? … seht selbst …

Ich denke, ich bin an dem Punkt angekommen, wo es keiner weiteren Worte bedarf.


Der PUM behauptet von sich: „Hart, härter, PUM!“


Und ich kann hinzufügen: „Abenteuerlich, atemberaubend, einfach PUMwerfend!

 


Nachtrag vom 14.04.2019:
Der Action-Filmer namens Tim hat sich per E-Mail bei mir gemeldet und verkündet, alle Videoaufnahmen seien verschwunden oder gar nicht erst aufgenommen worden. Er schien untröstlich, doch was soll ich sagen? – Die Hauptsache ist, dass wir gemeinsam zwei extrem geile Kilometer gerannt sind und uns diese Erinnerung keiner nehmen kann!
 

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

63 km

 

06:12:05 Std.

 

06:12:05 Std.

 

Männl. Hauptklasse (90-99)

 

1. von 3

 

1. von 93 (1,1 %)

 

1. von 128 (0,8 %)