4. Rubbenbruchsee Marathon Osnabrück

09.12.2017

Vorher

Seit über 12 Monaten stand fest, wie mein Jahr 2017 - im wahrsten Sinne des Wortes - verlaufen sollte: der erste Marathon im Januar, der siebzehnte im Dezember. Der erste klein, unscheinbar und fast schon privat in Münster, der siebzehnte etwas größer und pompöser hier in Osnabrück. Und in den 47 Wochen dazwischen? Da galt es, im Einklang mit Family, Freunden und der geduldigen Partnerin 15 weitere „lange Kanten“ zu sammeln. Die 17 ist nun mal meine Lieblingszahl und wann hat man schon die Gelegenheit, im Jahr 2017 etwas derart Verrücktes zu machen? Also sammelte ich wie ein Verrückter, blieb von Verletzungen und Krankheiten gänzlich verschont und meckerte nur zum Ende hin über mangelndes Training. Ansonsten alles paletti!
In einem durchschnittlichen Rhythmus von zwei bis drei Wochen, die zwischen den Wettkämpfen lagen, reisten Sophie und ich durch die Welt: nachdem es 500 Meter unter Tage 42,2 km zu laufen galt, zog es uns in die europäischen Hauptstädte Warschau und Dublin, bevor auch Porto in Portugal unter die Füße genommen wurde. Das war der reine Wahnsinn! Ansonsten erblickten wir dank der Laufveranstaltungen von Christian Hottas - dem Marathon-Sammel-Weltrekordler - viele sehr schöne Flecken rund um Hamburg. Alles nochmal aufzuzählen, würde wieder mal den Rahmen sprengen.
Aber was war denn nun mein auserwähltes Finale und warum? Die Antwort muss lauten: „Osnabrück, daRuM!“ Denn der der RuM - Kurzform für Rubbenbruchsee Marathon - ist der bisher einzige Marathon, den ich mindestens zweimal gelaufen bin. Genau genommen wollte ich bei der vierten Austragung auch ein viertes Mal am Start stehen und, wenn möglich, auch gern ein viertes Mal siegen.
Primär lockt mich aber die familiäre Atmosphäre, die nicht zuletzt dank der Familie des Veranstalters zustande kommt. Michael Brehe trommelte ein weiteres Mal alle Protagonisten seiner Familie zusammen, um den Lauf mit allem was dazu gehört im wohl ungemütlichsten Monat des Jahres zu stemmen. Respekt! Ein weiterer Faktor ist meine eigene Familie, die nur 34 km entfernt wohnt und mich bereits häufiger mal begleitet oder vom Streckenrand aus unterstützt hat. Außerdem freute es mich, dass ich mir bei Michael die Startnummer „17“ vorreservieren durfte. Besser konnte ein Finale nicht vorgeplant werden.
Bereits am 06.01.2017, über 11 Monate vor dem Event, musste die Voranmeldung nach nur vier Tagen geschlossen werden. Das Teilnehmerlimit von 64 Personen war schon erreicht. Die Startgebühr von 15 € für das absolute Rundum-Sorglos-Paket macht den Lauf nicht minder attraktiv: top Verpflegung, Finisher-Medaille, super Leute und Glühwein! Was will Läufer mehr?
Und so begab es sich, dass unser alljährlicher Cliquen-Wichtel-Abend wieder auf dasselbe Wochenende fiel, wie der Marathon - bloß leider am Freitag. Entsprechend gehemmt und alkoholfrei verbrachte ich den Abend im Kreise meiner besten Freunde. Ich war zwar etwas müde von der dreistündigen Autofahrt ab Hamburg, aber die Stimmung litt keineswegs darunter. Es gab sogar eine extra Portion Pasta für mich.

Um 2 Uhr ging es über verschneite Straßen vom Örtchen Dickenberg zurück nach Laggenbeck, wo ich um 3 Uhr endlich ins Bett fiel. Am nächsten Morgen quälte ich mich um 08:45 Uhr aus der Koje, machte mir einen Tee und zwei Brötchen mit Käse und Honig und blickte dabei verträumt aus dem Fenster. Es lagen zehn Zentimeter Neuschnee. Wow! Vor lauter Staunen vergaß ich, ein Foto zu knipsen.
Tatsächlich freute ich mich sogar auf meinen ersten Marathon auf Schnee, wenn denn dieser am Rubbenbruchsee auch noch so viel vorhanden sein würde. Leider war das nicht der Fall und es gab nur vereinzelte, kleine Flächen mit Schnee. Andererseits war ich ebenfalls froh, dass sich die böse Prognose aus dem morgendlichen Wetterbericht am Smartphone auch nicht bewahrheitete.

Während Sophie im warmen Bett blieb und zu meinem Zieleinlauf nachkommen wollte, sammelte mich meine Mutter wie vereinbart um 09:50 Uhr ein und fuhr mit mir weiter nach Osnabrück, wo wir gegen 10:20 Uhr ankamen. Aufgrund von Fußschmerzen konnte mein Vater diesmal leider nicht mitkommen und auch meine Schwester hatte noch andere vorweihnachtliche Erledigungen vor sich. Aber das machte nichts, denn ich habe ohnehin allen geraten, bei dieser Wetterprognose so viel wie möglich drinnen zu bleiben. Auch meiner Mutter, doch sie setzte sich in den Kopf, endlich mal wieder einen langen Lauf zu absolvieren. Um es vorwegzunehmen: ganze 15 km sind zusammen gekommen und sie ist nicht krank geworden - super!

Bevor ich meine lang ersehnte Startnummer abholte, traf ich auf Markus Steffen, einen super Laufkumpel, den ich in früheren Zeiten recht häufig auf lokalen Laufevents traf. Unter anderem begleitete Markus mich bei dem 1. RuM 2015, indem er als Freizeitläufer bei KM 11,4 dazu stieg und mich fortlaufend bis ins Ziel begleitete und motivierte. Ohne ihn wäre es damals wesentlich härter geworden.
In diesem Jahr habe ich ihn endlich von einer Teilnahme am ganzen Marathon überzeugen können und ich freute mich auf ein gemeinsames Rennen über mindestens drei Viertel der Strecke – so unser Plan. Wir verabredeten uns zu einem Tempo von 04:10 bis 04:12 min/km und entsprechend zu einer Halbmarathon-Durchgangszeit von 01:28:00 Stunden. Mein persönliches Ziel war eine Zielzeit von 02:56:00 Stunden. Mit exakt dieser Zeit würde ich meine 2017er-Marathon-Durchschnittszeit auf eine glatte 02:58:00 schrauben. Das war doch was.
Etwa 20 Minuten vor dem Start kontrollierte ich nochmal die Schnürsenkel meiner Hoka Clifton 2 Schuhe, in denen ich nun meinen 6. Marathon laufen wollte. Anschließend liefen Markus und ich uns noch lockere 2 km ein, bevor fünf Minuten vor dem Start die langen Trainingsklamotten weg mussten. Ich drückte meiner Mutter noch einen Kuss auf die Wange, gab ihr meine Aufwärmsachen und ließ sie noch schnell ein Foto von uns beiden knipsen.

Pünktlichen um 11 Uhr erfolgte dann der Start-Ruf, nachdem noch kurz der Streckenverlauf erläutert wurde. Bei kühlen 2°C und Windstille, jedoch ohne sichtbarem Schnee mehr wurden wir auf die Strecke gelassen. Auf geht’s zur Nummer 17.

Der Lauf

Was stand uns nun bevor? Wie in den drei Jahren zuvor sind insgesamt 9 Runden zu absolvieren, von denen jeweils die erste und letzte direkt am See entlang führen. Diese gut 3 km lange Runde sollte auf den sieben Runden dazwischen um eine 2 km lange Zusatzschleife ergänzt werden. Nach Adam-Riese kommen wir so auf gut 41 km. Die fehlende Differenz kommt dadurch zustande, dass der Umfang des Sees 3 km und ein paar Zerquetschte beträgt. 

Der Streckenbelag war zum größten Teil festgetretene Erde und Waldboden. Lediglich auf einem knapp 500 Meter langen Cross-Abschnitt am süd-westlichen Ende des Kurses würde man zumeist auf Laub und Schneematsch laufen müssen. Wir wollten uns überraschen lassen und rechneten mit vielen Pfützen, denn auch an den Tagen zuvor tobte der Herbst von seiner besten Seite.
Markus und ich setzten uns von Vornherein an die Spitze des Feldes, gefolgt von einem uns unbekannten Läufer, der ein paar Jahre älter wirkte, als ich. Unsere Gesprächsanteile minimierten sich schlagartig und wir konzentrierten uns voll und ganz auf die Suche nach einem angenehmen Tempo. Mit der Zeit für die erste Runde waren wir zwar zufrieden, wenngleich das Tempo etwas zu stark schwankte (04:08 min, 04:14 min und 04:03 min). Mit 12:31 min war dies für mich auch die langsamste erste Runde bei einem RuM bisher (2016 - 12:26 min).
Unter dem Applaus des netten Orga-Teams und einiger weniger Zuschauer ging es für uns auf die zweite Runde. Meine Mutter versuchte indessen, ihr Handy anzuschalten und trabte dabei am rechten Rand neben her. Leider schaffte sie es nicht mehr rechtzeitig, die Kamera zu starten, und rief uns nur zu, wir seien zu schnell. „Das macht nichts“ antwortete ich noch prompt und dann ging’s weiter. Nach zwei weiteren Kilometern über festen Boden, die uns nun auf die Zusatzschleife durch den Wald führten (04:05 min, 04:11 min), stand uns die einzige nennenswerte Steigung bevor. Am südlichsten Ende der Route bogen wir rechts ab und stapften über den laubbedeckten Hang zum höchsten Punkt, woraufhin ebenfalls eine Rechtskurve folgte. Diese konnte in den Vorjahren immer eng genommen werden, diese Jahr nicht!
Auf einer großen, matschigen Schneefläche rutschte ich beinahe aus und musste abbremsen. Markus rief mir zu: „Da musst Du heute aufpassen.“ Oh ja, das musste wir alle. Auch die nun folgende Bergab-Passage bot keine Erholung wie ich es gewohnt war, denn hier hielten sich der Schnee und das Eis wacker. Zudem gab es unzählige Pfützen, die jederzeit für eine ordentliche Suppe im Schuh sorgen konnten. Vorsicht war geboten. Auch auf dem Cross-Abschnitt im Wald war insbesondere das Laufen zu zweit etwas schwierig. Große Pfützen unter der dichten Laubdecke sorgten für eine Lotterie: Nehme ich den linken oder rechten Rand des Weges? Oder doch die Mitte mit großem Sprung über die hoffentlich nicht allzu große Pfütze?
Nach diesen ersten paar Metern im Wald war eh alles egal, denn sowohl die Schuhe als auch die Hose hatten ihre Matschtaufe hinter sich (KM 6 in 04:15 min). Erst als es auf einem Single-Trail im Slalom zwischen Bäumen hindurch ging, war wieder etwas festerer Boden unter den Füßen. Schnellen Schrittes ging es dem ersten Kilometer unter 4 Minuten entgegen (KM 7 in 03:53 min). Markus merkte zurecht an, wir sollten wieder etwas ruhiger werden und so beendeten wir die zweite von neun Runden nach 20:34 min (KM 8 in 04:07 min).

Zuvor überholte uns noch der Unbekannte und huschte als vorübergehend Führender in die dritte Runde. Wir zwei waren uns bald einig, dass wir ihm nicht allzu dicht folgen mussten. Wir ahnten, dass er das Tempo alleine nicht lange so hoch halten konnte. Und unsere Hypothese bewahrheitete sich, als wir auf dem Weg Richtung Zusatzschleife wieder an ihm vorbeiliefen (KM 9 in 04:09 min und KM 10 in 04:08 min).
Welche weitere Ablenkung gab es für uns noch? Nachdem es während der ersten beiden Austragungen herrliches Sonnenwetter und viele Spaziergänger gegeben hat, war heute eher wenig bis gar nichts los. Und das trotz einiger Sonnenstrahlen, die sich nach knapp einer Stunde kurz mal blicken ließen. Einigen Hundebesitzern und Freizeitläufern sind wir somit schließlich doch begegnet. Gepaart mit ersten Überrundungen und dem ständigen Blick auf die Uhr wurde es dann ausreichend kurzweilig (KM 11 in 04:05 min, KM 12 in 04:08 min und KM 13 in 04:10 min).
Mit Erreichen der dritten Runde war knapp ein Drittel geschafft und ich kündigte bei Markus an, ich wolle nun schnell etwas trinken. Den Mehrwegbecher mit der Nummer 17, der zum Glück vorne in der ersten Reihe steckte, hatte ich mir schon vor dem Start mit Wasser gefüllt. Und so verlor ich nun kaum mehr als drei bis vier Sekunden, um den Becher zu finden, mir ein paar kleine Schlucke davon zu gönnen, wieder zurückzustellen und dem Führenden hinterher zu hechten.

Erst nach 200 Metern hatte ich Markus Rücken wieder direkt vor mir. So schnell kann es gehen, dass man den Anschluss verliert. Dies führte dazu, dass mein 14. Kilometer wieder etwas flotter wurde (in 04:05 min). Jedoch führte das kalte Wasser in meinem Magen ebenfalls dazu, dass ich für die Dauer von knapp zehn Minuten leichte Seitenstiche bekam. Ich versuchte, diese mit den Händen raus zu massieren und dabei gleichmäßig zu atmen. Und es schien langsam Wirkung zu zeigen.
Zu zweit ging es nun auf das zweite Drittel zu und während wir so davonrannten, überhörten wir beinahe, wie sich der Drittplatzierte zurückfallen ließ. So waren wir von nun an auf uns allein gestellt, dachten wir. Doch es kam anders. Zwei Laufkollegen aus Markus‘ Umfeld schienen ihren morgendlichen langen Lauf zu absolvieren und liefen uns auf dem langen Waldstück gen Süden entgegen. Wenig später, nachdem wir beide die Wald- und Cross-Passagen hinter uns gelassen hatten (KM 15 in 04:04 min), begegneten sie uns ein zweites Mal und hängten sich in unseren Windschatten. So waren wir plötzlich zu viert und es wurde noch unterhaltsamer. Besonders amüsierten mich die Sticheleien zwischen den Männern, denn sie zielten häufig auf das Alter und die sportliche Leistung ab. Echt amüsant, wie Männer unter sich nun mal sind.

Vielleicht war es den kurzen Gesprächen geschuldet, warum wir ein bisschen langsamer geworden sind (KM 16 in 04:10 min und KM 17 in 04:16 min), aber wirklich tragisch fand ich das nicht. Ich hatte nicht vor, einen bestimmten Rekord zu laufen und die anvisierte Zielzeit lag noch völlig im Bereich des Machbaren.
Der folgende Abschnitt vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt des Kurses verlief wieder recht gleichmäßig (KM 18 und 19 je in 04:11 min). Nicht zuletzt, weil Markus abermals am Wasserstand vorbeilief, obwohl er sich auf der Runde zuvor beim Orga-Team einen Becher mit Wasser bestellt hatte. Aber ich kenne das Gefühl: sobald man im Rhythmus ist, will man nicht raus.
Nach einem ersten Bergauf-Schneematsch-Cross-Lauf zu viert verließen wir den Wald wieder und sahen uns unmittelbar vor der Halbmarathon-Marke (KM 20 in 04:13 min und KM 21 in 04:10 min). Diese erreichten wir nach 01:27:20 Stunden, was beinahe genau dem Plan entsprach. Super!
Kurz vor KM 22 (in 04:09 min) sah ich ein weiteres Mal meine Mutter auf uns zu laufen. Das musste jetzt das dritte oder vierte Mal sein, wenn ich mich recht erinnere. Zuvor fragte sie mich bereits, wie es mir gehe. Geplagt von den leichten Seitenstichen antwortete ich nur „Okay“. Jetzt mit Erreichen der Halbzeit rief ich ihr etwas optimistischer zu: „Halbmarathon geschafft.“ Ihre Antwort habe ich leider nicht mehr verstanden, denn da sind wir schon wieder vorbeisaust.
Hinter KM 23 (in 04:17 min) nahm Markus die Position links von mir ein, da er nun doch den Wasserstand anvisierte. Ich wünschte ihm, dass ihn keine Seitenstiche ereilten. Aus genau diesem Grund verzichtete ich diesmal aufs Wasser und entschied mich, es höchstens bei der nächsten Runde ein zweites und letztes Mal zu riskieren.
Als mein Kontrahent seine Portion Wasser weggetrunken hatte, musste auch er das Tempo anziehen, um wieder an mich ranzukommen. Gefühlt gelang ihm das aber schneller, als mir zwei Runden zuvor. Gemeinsam ging es auf die fünfte von sieben langen Runden zu - das Bergfest war längst rum (KM 24 und 25 je in 04:13 min). Mit dem Anstieg und den glitschigen Abschnitten im Wald wurde es nun aber deutlich anstrengender, was sich auch in den Kilometerzeiten widerspiegelte (KM 26 in 04:21 min und KM 27 in 04:26 min).
Nun musste ich langsam eine Entscheidung fällen: Nehme ich ein Energie-Gel oder nicht? Dann dachte ich nur daran, dass ich das Zeug zu Hause eh nicht loswerde und so lautete die Antwort: Ja. Mein Griff ging zu meiner hinteren Hosentasche, in der sich zwei kleine Gels von GU befanden. Die blinde Wahl fiel auf Blaubeere, einverstanden. Bei KM 28 (in 04:17 min) riss ich die obere Lasche mit den Zähnen auf und presste das erste Drittel der dickflüssigen Masse in meinen Mund. Es ließ sich kaum hinunterwürgen und so nahm ich auch den Rest zu mir, bevor bei KM 28,5 der Getränkestand folgte.
Im Wechsel pfefferte ich das leere Beutelchen zu Boden und griff dann zu meinem Becher. Zwei Schlucke, Becher leer und weiter im Programm. Markus konnte ich diesmal etwas schneller folgen, zumal es den Anschein hatte, dass er etwas Federn lassen muss. Ich war nun gespannt, was mein Energiegel gegen die ersten Müdigkeitserscheinungen auszusetzen hatte. Häufig hatte ich in der Vergangenheit zu hohe Erwartungen. Heute war ich zwiegespalten. Mal schauen.
Auf den folgenden zwei Kilometern bis hin zur ersten Schallmauer (30 km) deutete sich noch drastischer an, dass Markus abreißen lassen musste. Seine beiden Laufkollegen teilten sich sogar auf: während einer bei ihm blieb und ihn förmlich wieder an mich heranziehen wollte, lief der andere mit ein paar Metern Abstand vor mir her (KM 29 in 04:18 min und KM 30 in 04:06 min). Am südlichsten Zipfel, bevor es zum vorletzten Mal den Anstieg hinauf ging, verabschiedete sich mein Tempo-Macher mit den Worten „Wir biegen hier jetzt ab.“ Ich bedankte mich noch kurz und fokussierte mich von nun an alleine auf die bevorstehenden 12 Kilometer.
Was mir nun aber einen kontrollierten Lauf deutlich erschwerte, war meine GPS-Laufuhr. Denn diese schien wieder zu spinnen. Ähnlich wie im vergangenen Jahr, bloß fingen die GPS-Störungen diesmal etwas später an. Auf den folgenden Kilometern zeigte mir die Uhr Durchgangszeiten von 03:56 min bis 05:57 min an. Beide Extremen waren kaum möglich!
Also Kopf ausschalten, nicht mehr so viel grübeln, sondern einfach nur laufen! Nach der zähen, langen Geraden auf der westlichen Seite des Sees bog ich wieder in das ganz kleine, verwinkelte Waldstück nordwestlich des Sees ein. Hier gab es ein paar klitzekleine Hügelchen zu bewältigen, die sich zum Ende hin aber nicht mehr so klein anfühlten.
Aus dem Waldstück herauslaufend konnte man rechterhand schon den Start-Ziel-Bereich sehen, der etwa 300 Meter vor einem lag. Und aus dieser Ecke hörte ich plötzlich: „PATRICK!!“ War das mein Vater? Seine Stimme ist unverkennbar und ich war mir zu 99 % sicher, dass er es war. Wie ist er hier hergekommen, so ganz ohne Auto? Haben meine Schwester Nicole und ihr Freund ihn etwa abgeholt? Werde ich gleich überrascht? So zwei Runden vor dem großen Finish?
Ich wurde kribbelig und nervös. Die Freude überwog wieder und die Müdigkeit war beinahe vergessen. Die Beine legten an Tempo zu und ich flog KM 34 entgegen. Mitten im Start-Ziel-Bereich sah ich die ganze Speedy Family auf einem Haufen … mit dem großen „Lauf, Patrick, Lauf“-Banner und einem selbst gebastelten Plakat. Wahnsinn!

Nun lagen nur noch 8 km vor mir, was einer großen und einer kleinen See-Runde entsprach. Das sollte doch zu schaffen sein, zumal ich schon jetzt mit einer weiteren Portion Zusatz-Motivation rechnen konnte: denn Sophie fehlte noch und würde sicher jeden Moment im Start-Ziel-Bereich auftauchen, sodass ich sie vor meiner letzten Runde nochmal sehen konnte.
Die siebte große Runde durch den Wald, die ich jedes Jahr aufs Neue als meine „große Abschiedsrunde“ bezeichne, ging jedoch langsamer vorüber, als erhofft. Nachdem die vorherige Runde mit 21:44 min schon die langsamste des Tages war, legte ich nun mit 22:47 min nochmal eine Schippe drauf. Umgerechnet bedeutete das ein Tempo von 04:26 min/km. Aber der einen Minute, die ich hier verlor, trauerte ich nicht hinterher. Das Wichtigste war nur noch, den Sieg nicht mehr aus der Hand zu geben.
Was ich ungern tat, aber besonders auf den langen Geraden unvermeidbar war, ist das Umdrehen. Schon 4 km vor dem Ziel fing ich damit an, doch hinter mir war niemand Schnelles zu sehen. Wo ist Markus geblieben?

Und dann mit Erreichen von KM 39 sah ich links und rechts vom Start-Ziel-Beriech das gesamte Team bestehend aus Sophie und ihren spontan mitgereisten Eltern, meiner Speedy Family und Tobi, Nicoles Freund. Alle applaudierten und jubelten mir zu. Dabei entdeckte ich sogar noch ein weiteres Plakat mit der Aufschrift „Marathon 17 finished“. Noch war es nicht so weit, denn gut 3 km hatte ich noch vor der Brust.
Diese wollte ich in vollen Zügen genießen und ignorierte vorerst jegliche Zielzeit, die ich mir zwischendurch gesetzt hatte. Und so war ich mit geradezu gemütlichem Tempo von 04:48 min/km unterwegs um den Rubbenbruchsee. Am südlichen Ufer ging es dann nicht links ab, sondern „Rechts RuM“, wie eines der Pfeile mir verdeutlichte. Ein letztes Mal ging es auf die lange Gerade am Westufer zu, an deren Ende ich mich ein letztes Mal umdrehte und vergewisserte, dass mir kein Zweitplatzierter auf den Fersen war.
Auch das kleine Waldstück ließ ich hinter mir und freute mich auf einen emotionalen Zieleinlauf im Kreise meiner Liebsten. Etwa 250 Meter davor schaute ich noch einmal auf die Uhr und sah, wie die Zeit 02:55:00 Stunden aufleuchtete. Es verblieb also noch genau eine Minute bis zu meiner anfangs definierten Wunschzeit von 02:56:00 Stunden. Nun aber flott, die letzten Reserven mobilisieren und alles geben!
Selbst meine gewünschte Finisher-Pose schien ich vergessen zu haben, denn ich wollte unbedingt noch unter eben dieser Zeit bleiben. Lange Schritte, Augen zu, vorbei an den vielen Enten, die keine Angst zu haben schienen, und nichts wie rein in die kleine Menschenmenge!

Auf der Höhe des Zielfahrrads drückte ich die Stopp-Taste meiner Uhr. 02:55:58 Stunden – BINGO! Das nenne ich eine Punktlandung (die nachträglich noch auf glatt 02:56:00 Std. korrigiert wurde, was völlig okay war).

Nachher

Nun durfte ich mich voll und ganz auf meine angereisten „Fans“ konzentrieren und versuchte dabei, in die Kameralinse meines Vaters zu lächeln. Das fiel mir sichtlich schwer, so erschöpft war ich doch. Und auch die vielen Gratulationen prasselten zu einem Zeitpunkt auf mich ein, an dem ich noch nicht ganz aufnahmefähig war. Dennoch freuten mich der Trubel und die vielen schönen Gesten, wie die Plakate und die selbst gebastelte Medaille, die mir meine Freundin um den Hals hängte.

Danach gab es erst mal einen wohl verdienten Becher Cola, den ich mir fast immer nach einem Marathon wünsche. Da das Wetter noch unverändert gut war, es windstill blieb und noch nicht regnete, blieben wir noch ein paar Minuten vor dem reichhaltigen Verpflegungstisch stehen und plauderten ein wenig. Die Runde um mich herum war super unterhaltsam und lustig, sodass ich prompt alle Angereisten zu einem Teller Grünkohlsuppe einlud.
Ich schickte allesamt schon mal ins Warme des Café-Restaurants am Rubbenbruchsee, während Sophie mich zum Auto meiner Eltern begleitete, wo ich mich umziehen wollte. Da meine Klamotten von Pfützen und Schweiß nass geworden sind und ich mich insgesamt nicht mehr so gut bewegen konnte, war das Ausziehen echt mühsam. Mehrmals musste Sophie mich stützen und mir eine Sache anreichen. Mit vereinten Kräften war es nach 10 Minuten aber soweit, dass ich eine Jeans, ein trockenes Paar Schuhe und obenrum mehrere Schichten übereinander angezogen hatte.
So stapften wir zurück zum Restaurant, wo ich aber erst merkte, wie unterkühlt ich doch war. Mir zitterten beide Hände schlimmer, als je zuvor nach einem Lauf im Winter. Meine Finger suchten die erlösende Wärme einer kleinen Tee-Kanne, die bereits auf dem Tisch stand, an dem unsere Familien Platz genommen hatten.

Recht bald bestellten wir sechs Teller Grünkohlsuppe, die wir uns zu acht teilten. Und diese salzige, wärmende Suppe mit groben Fleischstückchen tat so unglaublich gut, dass ich mindestens drei Teller hätte davon essen können.
Anschließend fragte ich das Personal, ob wir uns acht Sektgläser borgen dürften, um einen selbst mitgebrachten Sekt daraus trinken zu dürfen. Ohne jegliche Widersprüche erhielt ich die Gläser und war erstaunt über diese Geste. Das hätte ich in Deutschland kaum erwartet, muss ich gestehen.
Nachdem wir die heutigen Fahrer unter uns auserkoren hatten, die lediglich ein kleines Schlückchen bekamen, tranken wir anderen eine große und eine kleine Flasche leer. Es hat mir richtig Spaß gemacht und verlieh dem besonderen Tag nochmal eine besondere Note. Noch nie hat die Wartezeit bis zur Siegerehrung so viel Spaß gemacht wie heute.
Um 15:30 Uhr, also gut anderthalb Stunden nach meinem Zieleinlauf, ging ich nochmal kurz nach draußen, um mich nach dem Zeitpunkt der Ehrung zu erkundigen. Dabei erwarteten mich ein ekeliger Nieselregen und eine gefühlte Temperatur von unter 0°C. Für die Letzten auf der Strecke war das alles andere als schön. Am Verpflegungsstand erfuhr ich vom Orga-Team, dass die drittplatzierte Frau auf ihrer letzten Runde sei, sodass die Ehrung in knapp 15 Minuten starten konnte. Es könne aber auch jemand in das Restaurant kommen, um uns Bescheid zu sagen, hieß es. Na das nenne ich Service – Dankeschön.
Und um 15:50 Uhr war es dann soweit, dass wir aus der warmen Ecke, in der wir es uns gemütlich gemacht hatten, rausgebeten wurden. Auf dem Weg zur Siegerehrung kam ich übrigens mit dem Zweitplatzierten ins Gespräch, der leider nicht Markus Steffen hieß. Markus soll sich nach knapp 34 Kilometern bewusst dazu entschieden haben, auszusteigen, um keine größeren Ermüdungserscheinungen zu riskieren. Er befindet sich auf einem guten Trainingsstand und wollte diesen Wettkampf ohnehin nicht volle Pulle laufen. Na gut, aber gegönnt hätte ich es ihm allemal. Vielleicht 2018?

Noch während die schnellsten drei Frauen – übrigens alle zum 100 Marathon Club gehörig – mit wunderschönen goldenen Pokalen geehrt wurden, gönnte ich mir einen letzten Rest aus dem Glühwein-Bottich. Vorher hatte ich es schlichtweg vergessen und war zu sehr auf die Cola fokussiert. Nun gab es aber etwas Süß-Heißes, wovon ich auch meiner Mutter sehr gern etwas abgab.
Und dann wurde ich als Letzter von Sechsen nach vorne gebeten. Während mir der Organisator und gleichzeitig heutiger Marathon-Finisher Michael (03:59:15 Stunden) den schönen Pokal überreichte, berichtete er der Gruppe, dass es sich heute um meinen 17. Marathon gehandelt habe. Außerdem wusste er Bescheid, dass es ebenfalls mein 13. Marathon unter 3 Stunden war und dass 2 von 17 Läufen über eine Ultradistanz verliefen.
Cool, dachte ich mir. Richtig cool, dass es da noch andere Verrückte gibt, die die Internetseiten anderer Verrückter lesen - eben genauso, wie ich es tue.

Nachdem noch ein paar interessante Gespräche geführt wurden und ich mir bei Michael für nächstes Jahr schon die Startnummer 50 reservieren durfte (der 5. RuM soll mein 50. Marathon/ Ultra insgesamt werden), verabschiedeten wir uns von den wenigen Verbliebenen. Dabei bedankten wir uns sehr herzlich für die super Organisation und die Tapferkeit der Familie Brehe, bei solchen Bedingungen einen ganzen Tag unter freiem Himmel zu verbringen. Ganz großes Kino!
Und ich wäre nicht der Einzige, der es bedauern würde, wenn nach dem 5. RuM alles RuM wäre. Ganz heimlich schiele ich nämlich schon ins Jahr 2023, in dem ich beim 10. RuM vielleicht ja auch meinen 100. M/U laufen könnte … wer weiß, wer weiß.

 

Und das wirklich allerletzte Wort gilt meiner Freundin Sophie:

DANKE, mein Schatz, für dieses sehr außergewöhnliche Jahr 2017, das du zusammen mit mir durchlebt & erlebt hast. Es ist nicht selbstverständlich, dass du mich und all diese laufintensiven Tage so sehr unterstützt hast. Ich bin unendlich stolz darauf, eine so wundervolle Frau an meiner Seite zu haben! ♥

 

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

42,195 km

 

02:56:00 Std.

 

02:56:00 Std.

 

Männl. Hauptklasse (88-97)

 

1. von 6 (16,7 %)

 

1. von 49 (2,0 %)

 

1. von 55 (1,8 %)